Auf einer Straße außerhalb Jerusalems verunglückt ein Schulbus. Der besorgte Vater Abed Salama fährt sofort zur Unfallstelle. Doch die verletzten Kinder wurden bereits in verschiedene Krankenhäuser der Stadt gebracht, zu der Abed mit seinen palästinensischen Papieren keinen Zugang hat. Seine Odyssee auf der Suche nach seinem Sohn ist verwebt mit den Geschichten unterschiedlicher Menschen, deren Wege unerwartet zusammentreffen: Unter ihnen eine Erzieherin und ein Mechaniker, die Kinder aus dem Wrack bergen, und ein israelischer Kommandant sowie ein palästinensischer Beamter, die mit den Folgen des Unfalls konfrontiert werden. In seinem gut recherchierten Werk, das wenige Tage vor dem Anschlag am 7. Oktober 2023 veröffentlicht wurde, geht Nathan Thrall nicht nur auf die komplexe Geschichte der Besetzung ein, vielmehr macht er sichtbar, was oft übersehen wird: das Leben der Menschen in einem zerrütteten Land. (Verlagsbeschreibung)
DNB / Pendragon / 2024 / ISBN: 978-3-86532-883-0 / 336 Seiten
Kurzmeinung: Irreführender Buchtitel, hinter dem sich ein erzählendes Sachbuch zu den Auswirkungen der israelischen Siedlungspolitik verbirgt...
VOR DEN TOREN JERUSALEMS...
Angesichts der aktuell absolut katastrophalen Versorgungslage in dem Palästinensergebiet aufgrund der mittlerweile gut zweimonatigen Blockade aller Hilfslieferungen durch Israel erscheint dieses Buch derzeit nahezu "harmlos". Allerdings zeigt es auf, wie sich all der Hass, der Widerstand, die Ängste, die Völkerfeindschaft im Laufe der Jahre aufschaukeln konnten - ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Das Buch bietet einen Abriss moderner palästinensischer Geschichte, eingefasst in die persönlichen Erinnerungen verschiedener Individuen.
Das Busunglück, das es so tatsächlich gegeben hat, dient als Aufhänger und Rahmenhandlung des erzählenden Sachbuchs, für das Nathan Thrall 2024 den Pulitzer-Preis in der Kategorie "General Nonfiction" erhielt.
In dem Unglücksbus befinden sich palästinensiche Kinder und Lehrerinnen auf einem Schulausflug, und bei dem Unfall mit einem Sattelschlepper geht der Bus in Flammen auf. Menschen vor Ort versuchen zu helfen, doch es dauert unendlich lange, bis die Rettungskräfte eintreffen. Zuständigkeitsgerangel, Grenzsperrungen durch Israel, eine unmenschliche und unnachgiebige Bürokratie, all das verhindert ein rasches Eingreifen. Es gibt viele Schwerverletzte, aber auch Tote. Und keine Information darüber, wohin die Verletzten gebracht wurden. Abed Salam irrt wie andere Eltern auch durch die in Frage kommenden Krankenhäuser und versucht herauszufinden, ob sein fünfjähriger Sohn Milad dort liegt - und ob er überhaupt noch lebt.
Nach der bedrückenden Eingangsszene schildert der Autor Abed Salams Lebenslauf, was diesen allerdings - unabhängig von der Tragödie des Busunglücks - für mein Empfinden eher unsympathisch wirken lässt. Immer wieder wendet sich das Geschehen dann auch wieder dem Busunglück zu, greift andere Schicksale heraus und präsentiert weitere Lebensläufe. Dadurch gewährt der Autor einen tiefen Einblick in das Leben im Westjordanland, das längst nicht mehr ländlich geprägt ist, sondern in zusammengeballten Städten stattfindet und vor allem mit einer eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Palästinenser einhergeht. Die israelische Siedlungspolitik sowie die Schutzmaßnahmen der Israelis vor Terroranschlägen tragen dazu bei.
Eine große Anzahl an Namen begegnet einem hier, Personen, Orte, Organisationen, politische Zusammenhänge - alles doch recht wirr und komprimiert präsentiert und wohl am ehesten für diejenigen mit viel Vorwissen verständlich. Ich oute mich hier mal als eine derjenigen ohne wirklich komplexes Vorwissen, auch wenn natürlich etliche Begriffe bereits bekannt waren. Für mich war das Lesen dadurch leider eher anstrengend, wenn auch nicht uninteressant.
Alles in allem ein irreführender Buchtitel, hinter dem sich ein erzählendes Sachbuch verbirgt, ein Bericht über das Leben unter der israelischen Besatzung des Westjordanlandes. Durch das Busunglück erhält das Buch eine persönliche und dramatische Note, was die Reichweite der Beschränkungen verdeutlicht. Trägt zu einer differenzierten Sicht auf das Verhältnis Israel-Palästina bei...
© Parden
Nathan Thrall wurde in Kalifornien geboren und lebt seit vielen Jahren in Jerusalem. Seine Essays, Reviews und Features erschienen u. a. im New York Times Magazine und in The Guardian und wurden in viele Sprachen übersetzt. Sie wurden beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zitiert. Er war ein Jahrzehnt Vorsitzender des Arab-Israeli Projects bei der International Crisis Group, die sich mit Lösungsvorschlägen zu internationalen Konflikten beschäftigt. (Quelle: Pendragon)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Durch das Kommentieren eines Beitrags auf dieser Seite, werden automatisch über Blogger (Google) personenbezogene Daten, wie E-Mail und IP-Adresse, erhoben. Weitere Informationen findest Du in unserer Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google. Mit dem Abschicken eines Kommentars stimmst Du der Datenschutzerklärung zu.
Um die Übertragung der Daten so gering wie möglich zu halten, ist es möglich, auch anonym zu kommentieren.